• 24.04.2024

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Maria, eine von vielen

stacheldraht

» Artikel vom

Gastautor: Pancho

Nennen wir sie Maria.

Maria ist eine typische junge Frau in Kolumbien, wie sie es dort zu Millionen gibt. Maria ist inzwischen Anfang 20. Ihre Lebensgeschichte ist bisher nicht ungewöhnlich, sondern eher wie die von den meisten Frauen dort.

Maria hatte Glück. Wenn man es so sagen kann.

Ihr Vater ist/war ein hochrangiger aber äußert zweifelhafter Politiker und so kam sie wenigstens in den Genuss zumindest keinen Hunger leiden zu müssen. Sie wuchs in einem Haushalt auf, in dem genügend Geld verfügbar war, sodass sie eine ordentliche schulische Ausbildung bekam. Die Schule hat ihr Spaß gemacht und sie hat sie mit sehr guten Noten abgeschlossen.

Maria war ein süßes Kind. Immer ein Lächeln im Gesicht, aufgeweckt, neugierig auf das Leben. Sie träume von einem Studium, einem Beruf, einer Familie, Kinder, ein normales einfaches Leben. Es ging ihr nie um Luxus. Nein, ein einfaches Leben war ihr Traum.

Maria hat es vergleichsweise besser gehabt, als viele andere Mädchen dort. Ihr Vater, ihr Bruder, ihre Onkel haben nicht bereits lüstern auf sie geschaut als sie gerade mal sieben Jahre alt war. Es war der Bruder, der Gefallen an ihr fand, als sie neun Jahre alt wurde. Zu diesem Zeitpunkt haben seine nächtlichen Besuche angefangen. Natürlich hat sie versucht, sich zu wehren, was nicht geglückt ist. Der Bruder hat sie mit Schlägen und Drohungen gefügig gemacht. Maria hat sich daraufhin verändert. Vater und Mutter hätten es bemerken müssen, haben sie sicher auch, aber ignoriert und so ging ihr Martyrium noch viele Jahre weiter. Irgendwann hat der Bruder die sexuelle Lust an ihr verloren. Die Schläge blieben.

Als Maria um die 16 Jahre alt war, hat sie es nicht mehr ausgehalten, ist von Zuhause weggelaufen und bei Freunden untergekommen. Dort wurde sie zwar herzlich aufgenommen, früher oder später konnten sie aber auch nicht endlos für sie aufkommen.

So begab sich Maria auf Jobsuche. Sie fand einen Job in einem Restaurant. 12h-Schichten waren an der Tagesordnung. Ein festes Gehalt gab es nicht. Es gab lediglich die Trinkgelder, womit man sein Leben nicht bestreiten kann. Der nächste Versuch führte zu einem Schuhgeschäft. Auch dort gab es kein festes Gehalt, sondern lediglich ein paar Cent Provision pro verkauftem Schuhpaar. Sie zeigte vollen Einsatz, verkaufte etliche Schuhe, die Einnahmen waren aber immer noch mehr als karg. Etliche weitere Versuche folgten. Immer mit dem gleichen Ergebnis. Endlos ranklotzen für einen Hungerlohn. Es gäbe da noch ein Job als Kassiererin. Sechs Tage die Woche, je 10h täglich, ohne Pause. Dafür gibt es satte 800k COP (rd. 190,- €) im Monat. Sie probiert es. Zur „Quincena“ (in COL wird, wie in vielen anderen Ländern in LATAM auch, zweiwöchentlich statt monatlich bezahlt) wird ihr etliches vom Gehalt abgezogen. Warum? Weiß kein Mensch. Am Ende bleiben ihr etwas über 600k COP. Sie wirft verständlicherweise auch diesen Job hin. Offiziell gibt es in COL einen Mindeslohn, der derzeit bei 1.160.000 COP (rd. 270,- €) liegt. Kümmert nur keinen, da sich genügend Arbeitskräfte finden, die für weniger arbeiten. Den Lohn einklagen? Deutsches Denken. In COL nicht vorstellbar. Der Anwalt ist unbezahlbar und die Aussichten auf Erfolg weniger als mäßig.

Irgendwann erzählte ihr eine Freundin, es gäbe da diese Seiten im Internet. Man müsse sich ausziehen und den Körper zeigen. Wenn man es gut macht, dann kann man vergleichsweise sehr viel Geld verdienen. „Wie denn das genau geht“, wollte Maria wissen. Und so nahm die Freundin sie mit in das Studio, in dem sie arbeitet. Von diesen Studios gibt es endlos viele. Sie alle sind Verbrecher und nutzen die Frauen gnadenlos aus. Setzen ihnen Ziele (Anzahl Tokens, so heißen die Münzen, die User geben, aber auch Zeitvorgaben). Schafft die Frau ihr Ziel nicht, dann bleibt sie einfach länger online. Schichten von 16 oder mehr Stunden sind nicht ungewöhnlich. Wie es der Frau geht? Hat sie ihre Tage, ist krank, hat Schmerzen? Völlig egal. Die Studios haben nicht mal eine Ibuprofen für die Mädels parat. Um eine Vorstellung zu geben: Für 2.000 Tokens zahlt ein Kunde - je nach Land - um die 160.- USD Dollar. Ein Webcam-Model, das 2.000 Tokens von einem User bekommt, erhält dafür gerade mal um die 50.- USD. Wenn es eines der besonders üblen Studios ist, dann werden ihr auch noch Abzüge gemacht. Die Not ist groß, viele Frauen drängen in den Job und so mancher Studio-Chef steigt auch schon mal über die Mädels drüber, bevor er sie dort arbeiten lässt.

Maria war geschockt, als sie der Freundin bei der Arbeit zusah. Die meisten „Gäste“ sind brutale Arschlöcher. Sehen einen Körper, der ihnen gefällt, nehmen sie in den privaten Modus und dann geht es sofort zur Sache. „Mach’ dies, mach’ das“, „Stell’ Dich so und so hin“, „Stecke Dir das oder jedes da und dort hinein“ und „Gib' mir einen Squirt“. So, oder so ähnlich läuft es in den meisten Fällen. Das Ganze in Rekordtempo, während sie sich einen runterholen. Kaum sind sie fertig, sind sie weg. „Nette“, sagen noch „Tschüss“, viele gehen kommentarlos.

Es ist ein beschissener Job, die Verdienstmöglichkeiten aber weitaus höher, als in normalen Jobs. Ein gutes Model kann es durchaus auf 10 Mio. COP (rd. 2.300,- Euro) oder mehr pro Quincena bringen. Und so gibt sich Maria einen Ruck.

Es gibt noch ein Problem. Sie ist keine 18 Jahre alt, darf also nach den Regeln der Betreiber der Seiten nicht arbeiten. Dafür hat das Studio eine Lösung. Schnell ist der Ausweis gefälscht, Maria angemeldet und los geht’s.

Maria findet sich vor einer Webcam wieder, weiß gar nicht, was sie tun soll. Der sog. „Monitor“ (ein Mitarbeiter im Hintergrund) gibt Anweisungen. „Mach’ dieses und jenes, tanze, zeige das und dieses“, usw. Früher oder später wird der „Monitor“ auch sagen, dass Anal sein muss. Das mögen viele Kunden. Als Hilfe gibt es max. Gleitgel mit Anästhetikum. Natürlich nur als Tipp. Das Gleitgel muss sie selbst besorgen und bezahlen.

Maria macht das alles mit. Nicht, weil sie es will, sondern weil sie schlichtweg keine besseren Optionen hat. Die Jobs sind elendig und seitdem Millionenfach flüchtende Venezolaner ins Land legal und illegal gekommen sind und weiter kommen, ist die Situation noch schlimmer geworden. Sie gewöhnt sich an den Job, wird sicherer, abgebrühter und hat gelernt, die Kunden maximal zahlen zu lassen. Ab und zu ist sogar ein netter Kunde dabei, dann ist der Job sogar für einen Moment erträglich. Manchmal, wenn ein besonderer Gast kommt, macht es sogar Spaß.

Eines Tages kommt ein User auf ihre Seite. Ein junger Amerikaner. Nennen wir ihn John. John ist sofort von ihr angetan. Er besucht sie oft auf ihrer Seite, gibt ihr viele Tokens und hat immer nette Worte für sie. Irgendwann tauschen sie Telefonnummern aus. Ab da reden sie täglich. John ist begeistert. Hilft, wo er kann und schickt regelmäßig Geld an sie direkt. Maria ist ebenfalls angetan. John ist der erste Mann in ihrem Leben, der sie respektiert und nett zu ihr ist. Er sieht auch noch gut aus und scheint herzensgut zu sein.

Es dauert nicht lange und John lädt Maria zu einem Urlaub nach Cancún (MX) ein. Maria sagt zu und so treffen sie sich und verbringen eine wundervolle Zeit dort. Ab da ist es um beide geschehen. John will unbedingt Maria bei sich haben und Maria möchte sich nur zu gerne von John aus der Misere in der Heimat rausholen lassen. Ein Leben in der USA. Millionen Menschen in COL träumen davon. In ihrer Vorstellung ist das ein Paradies. Vielleicht ist es das tatsächlich im Vergleich zu ihrem Leben in COL.

Bald ist ein Plan gemacht. Maria soll zu John in die USA. Nun ist das aber nicht so einfach. COLs migrieren nicht einfach so in die USA. Der Familienhintergrund von Maria sollte aber reichen, um dort Asyl zu beantragen. Nun würde man mit deutschem Denken meinen, dass es einfach geht: Zur Grenze gehen, „Asyl“ sagen und fertig. Das mag Millionenfach in DE, mit und ohne Pass funktionieren (sofern man aus dem „richtigen“ Land kommt). In anderen Ländern läuft es anders ab. Nach reiflicher Überlegung und Rücksprache mit einem Anwalt kommt John zu dem Schluss: Es gibt nur einen Weg. Maria muss illegal in die USA rein und den Asylantrag stellen, wenn sie dort ist.

Maria hat Angst. Nicht wegen John. Angst, weil etliche den illegalen Grenzübertritt versucht oder vollbracht haben und dabei üble Erfahrungen gemacht haben. Sie will es aber versuchen. Hofft auf ein besseres Leben. Beide treffen sich nochmal in MX. Er bringt sie an die Grenze, zahlt den Coyoten (so nennt man in MX die Typen, die einen illegal über die Grenze bringen) und reist zurück in die USA, um auf sie zu warten.

Ab hier bin ich quasi live dabei. Maria ist eine Schulfreundin der süßen COL Maus. Dank Apple iPhone können wir ihren Standort jederzeit verfolgen. Einige Tage hängt sie in der Nähe von der Grenze fest. Sie schreibt gelegentlich Nachrichten. Sie weiß auch nicht, wie es weitergeht. Es geht irgendwie nicht vorwärts. Dann geht es auf einmal ganz schnell. Sie werden abgeholt und über die Grenze gebracht. Das liest sich einfach, war es aber nicht. Als sie in den USA ist, telefonieren die beiden Mädels. Das Telefon ist lautgestellt, ich höre mit.

Maria ist komplett am Ende. Völlig verstört. Heult, wie ein Schlosshund. Was sie gesehen hat, wird sie ihr Lebtag nicht vergessen. Sie mussten u.a. durch einen Fluss schwimmen. Das Wasser stand hoch, die Strömung war stark. Mehrere Kinder sind von der Strömung mitgerissen worden und vermutlich ertrunken. Hat die Coyotes nicht interessiert. Frauen und junge Mädchen wurden nach Belieben von den Coyotes vergewaltigt. Maria hatte Glück, ist keinem sonderlich aufgefallen, sodass ihr wenigstens das erspart geblieben ist. Wer was von Wert dabei hatte, ist es los. Alles von den Coyotes abgenommen. Ein junger Mann hat sich gewehrt und wollte sich die paar USD, die er hatte, nicht abnehmen lassen. Er weilt nicht mehr unter uns. Fließt auch den Fluss hinunter. Mit einem Kopfschuss hingerichtet.

Dass Maria noch im Besitz ihres Smartphones ist, grenzt an ein Wunder. Sie hat es wirklich gut versteckt und sich nicht getraut es nur eine Sekunde herauszunehmen.

Während Maria redet, bricht es mir das Herz. Ich bin nicht in der Lage diesen Wahnsinn, diese Grausamkeit annähernd zu erfassen oder sie mir gar vorzustellen.

Maria hat Glück. Maria hat John. Er nimmt sie in den USA in Empfang und kümmert sich rührend um sie. Er versorgt sie erstmal mit dem Nötigsten, begleitet sie zu den Ämtern, wo sie ihren Asylantrag stellt. Es sieht gut aus. Alleine wegen des Vaters wird der Antrag wohl genehmigt werden.

John und Maria sind überglücklich. Er bucht Flüge nach Washington, wo er wohnt. Die nächsten Tage versucht er alles so nett wie möglich zu machen, um die traumatisierte Maria zu beruhigen. Johns Familie hat Maria herzlich empfangen. Anschließend geht er mit ihr los. Sie hat nichts mitgebracht außer den Klamotten, die sie am Leib trägt, braucht also alles neu.

Wie die Geschichte weitergeht, wird sich zeigen.

Maria hat Glück und Verwandtschaft in den USA (die Schwester lebt dort, wenn auch in einem anderen Bundesstaat). Sollte es mit John nicht klappen, hat sie wenigstens eine Anlaufstation.

Liebe Maria: Von Herzen wünsche ich Dir, dass ihr glücklich werdet. Was Du – und viele andere auch – erfahren hast, sollte kein Mensch durchmachen müssen.

Hinweis: Dieser Artikel soll keine Fürrede für illegale Migration sein. Er soll lediglich einen Einblick in reale Vorgänge geben, die massenhaft täglich in der Welt stattfinden. Die Gründe aus einem Land zu flüchten sind vielfätig und oft in tatsächlich unfassbarem Leid begründet.



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