• 24.04.2024

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COL (5) - Bogotá

col5bogota

» Artikel vom

Gastautor: Pancho

Ich finde sie nicht, weit und breit nicht.

Das Handy findet kein Signal. Mit meinen deutschen SIM-Karten wird das nichts. Öffne das WLAN vom Flughafen und erinnere mich an ihre Worte. „Nicht zu früh einloggen, da man nur 30 Min. kostenloses WLAN bekommt“. Das WLAN erfordert eine Anmeldung und die wollen in üblicher Manier endlos viele persönlichen Informationen haben. Das nervt, habe aber keine andere Wahl. Für solche Fälle habe ich komplette Fake daten parat, inkl. gültiger E-Mail. Die kann ich zwar nicht abfragen, das braucht es aber auch nie. Geht ja nur ums Datensammeln.

Ich habe Internet und erreiche sie. Sie ist unterwegs, braucht noch 15 Min. Sie schickt mir ein Bild von der Strassenkarte mit aktuellem Standort. Beruhigt rauche ich eine und warte.
Endlich ist sie da. Wir fallen uns in die Arme und ich merke, dass sie völlig verstört ist. Frage, ob es ihr gut geht. Ob es wegen des Erdbebens ist. Ja auch, schlimmer sei die Fahrt hierher gewesen. In dem Uber hätte es irgendwie komisch gerochen. Chemisch. Als sie das Fenster etwas öffnen wollte, hätte der Fahrer das verboten. Aus Sicherheitsgründen, wie er meinte. Sie hatte Angst, dass er etwas vorhatte.

Ich wundere mich, fühle mich aber weiterhin sicher. „Ob ich noch Geld wechseln solle?“, frage ich. „Nein, kein Problem, sie macht das mit der Heimfahrt“. Sie zückt das Handy, bestellt einen Uber, wir müssen zur zweiten Ebene. Trotz des Durcheinanders finden wir schnell unser Uber und fahren los.

In COL gibt es – vielleicht auch hier, bin noch nie vorher Uber gefahren – eine Regel, die besagt, dass der Besteller vorne sitzen muss. Begründen konnte mir das keiner, das ist einfach so und wird auch von den meisten Uber-Fahrern so verlangt.

Wir fahren los. Es ist spät nachts, der Verkehr ist der blanke Wahnsinn. Und nein, ich übertreibe nicht. Ich bin in Städten wie CDMEX selbst gefahren. Das hier hat eine völlig andere Dimension. Mopedfahrer drängen sich zwischen den Autos, hauen auch mal darauf, um sich Platz zu verschaffen. Bereits nach wenigen Minuten bin ich mir sicher, wir kommen nicht unfallfrei nach Hause.

Wir halten in einer kleineren Strasse an einer Ampel. Neben uns hält ein Auto mit zwei Typen drin, die nicht gerade vertrauenerweckend aussehen. Ich höre einen „Klack“. Die Zentralverriegelung. Der Fahrer hat sie also auch bemerkt. Zum ersten Mal frage ich mich, ob ich das hier unterschätzt habe und ob es gut ausgehen wird. Wir fahren weiter. Es fällt auf, dass in COL nur eine Verkehrsregel eingehalten wird. Rote Ampeln. Alles andere spielt keine Rolle. Der Uber-Fahrer nimmt einen seltsamen Weg. Engste Strassen. Ich fühle mich zunehmen unsicherer. Einbahnstrassen werden wie selbstverständlich in entgegengesetzter Richtung befahren. Immerhin wird vor dem Hereinfahren noch kurz gehupt.

Wir kommen in eine wirklich enge Strasse. Man sieht, dass dort ein Auto steht und die halbe Strasse versperrt. Dazu stehen irgendwelche Gestalten herum. „Das war’s“, denke ich mir. „Du hast Dich verzockt.“ Habe etliches Bargeld dabei, das wird der Jackpot für die Typen. Überlege, wie ich mit der Situation umgehen werde, wenn wir tatsächlich überfallen werden. Ich weiss nicht mal, wo ich bin. Zuletzt habe ich dem besten Kumpel geschrieben, als wir auf den Uber im Flughafen gewartet haben.

Es geht gut aus. Nach endlosen kleinen Gassen, zum Teil stockfinster, kommen wir an. Ich bin nicht religiös, danke aber kurz dem Universum, dass ich heile angekommen bin. Wirklich wohl fühle ich mich nicht. Die Fahrt war irgendwie zu viel. Beim Aussteigen werden kurz mit dem Fahrer Nummern ausgetauscht. Ich wundere mich. „Nequi“ heisst das Zauberwort. Eine Art PayPal, basierend auf der Telefonnummer, mit der man in BOG alles bezahlen kann. Und das wird auch rege genutzt. Dazu später mehr. Die Fahrt hat 20.000 COP gekostet, umgerechnet nicht mal 5 Euro.

Sie wohnt in einer Art Gated Community. Das hebt etwas meine Stimmung und beruhigt mich. Die Wohnanlage ist top, gepflegt und sauber. Wir gehen in ihre Wohnung und auch da ist alles tipptopp. Langsam komme ich zur Ruhe. WLAN-Schlüssel ins Handy getippt, Standort ermittelt und an den besten Kumpel geschickt.

Es ist wirklich spät, wir gehen relativ schnell ins Bett. Kuscheln uns einander. Mehr passiert nicht. Bin nicht in der Laune dazu. Sie schläft sofort ein. Ich liege noch etwas wach. Erste Sirenen heulen auf. Diebstahlalarme von Autos. Dazu Polizeisirenen, Krankenwagen, das volle Programm. Ich frage mich, wohin ich geraten bin. Schreibe kurz dem besten Kumpel und schliesse mit den Worten ab „Solange ich keine Schüsse höre, bleibe ich cool“. Endlich schlafe ich ein.

Am nächsten Morgen sieht die Welt deutlich besser aus. Sie wohnt in einer guten Gegend. Autoalarme gehören zum Alltag. Da stösst auch schon mal die Müllabfuhr gegen ein Auto und dann geht die Alarmanlage los. Kein Scherz, selbst gesehen. Wird in COL alles nicht so eng gesehen.

Bitterkalt war es nachts. Um die 11° C. Bogotá hat ein komplett eigenes Klima. Früh scheint die Sonne, es wird schön warm, von einem Moment auf den anderen regnet es in Kübeln – also wirklich heftig – oder die Temperaturen fallen schlagartig. Nachts wird es saukalt.

Jetzt bei Tageslicht sehe ich mir die Wohnung genauer an. Simpelste Bauweise. Einfachste Fenster. Für ein warmes Land ohne kalten Winter, kein Problem. Aber in BOG wird es echt kalt.

Beim Duschen gehen verstehe ich endlich, was mit „Calentador“ gemeint war. Als wir die Wohnung für sie gesucht haben, gab’s immer wieder diese Angabe und ich wusste nicht, was es damit auf sich hat. Dass viele Wohnungen kein warmes Wasser haben, wusste ich von anderen Erzählungen schon. Die Infrastruktur ist da. Warmwasserleitungen sind gelegt, es kommt nur kein Wasser raus, weil es keine Heizung oder zentralen Boiler gibt. Manche Wohnungen haben einen Boiler im Bad. Andere eben einen „Calentador“, andere gar nichts. Was man sich unter einem „Calentador“ vorstellen soll? Es ist ein Duschkopf mit Elektro-Heizung. Funktioniert tatsächlich, sofern man das Wasser nicht zu sehr aufdreht. In der Küche hat sie kein warmes Wasser. Falls wer glaubt, sie wohnt im letzten Eck: Nein, das tut sie nicht. Es ist ein gutes Viertel und für COL Verhältnisse ist die Miete auch nicht billig. In COL ist vieles anders, als man es hier gewohnt ist. Solche Dinge wird der Touri, der in ein Ressort fährt, kaum mitbekommen. Mit unter deswegen bin ich froh und dankbar, dass sie es mir ermöglicht, COL so kennenzulernen, wie es wirklich ist.

Es ist Freitag. Morgen fliegen wir schon weiter. Es gibt viel zu tun. Sie macht Frühstück. Rühreier und Trinkschokolade. Sie trinkt keinen Kaffee. Ich staune, das Frühstück war lecker.

Wir fahren – wieder mit einem Uber – in eine grosse Mall. Ich möchte Geld wechseln. Im Gegensatz zu anderen Orten sind Wechselstuben in COL rar gesät. Zudem brauche ich dringend eine COL SIM-Karte. Das alles gibt es am einfachsten in einer Mall.

Die Fahrt dahin ist kein Vergleich zu der Fahrt nachts zuvor. Es geht zwar ordentlich zur Sache, es ist aber nicht annähernd so schlimm. Die Mopeds sind aber keinen Deut besser. Mir kommen sie alle vor, als wären sie lebensmüde.

Die Mall ist nicht viel anders, als jeder Mall in Deutschland. Als Erstes geht es zum Geld wechseln. Auch hier gibt es eine Überraschung. Während in DE der Dollar ähnlich zum Euro steht, ist der Dollar in COL wesentlich weniger Wert. Für einen Dollar gibt es 3.700 COP, für einen Euro 4.300 COP. Gut, dass ich Euro mitgebracht habe. Nachdem ich mit COP ausgestattet bin, fühle ich mich wohler.

Dann geht es zum Mobilfunk-Laden. Sie rät mir zu „Claro“. Wir werden bestens bedient. Schnell ist der Vertrag (30 Tage, 80 GB) für knapp 20,– Euro abgeschlossen. Schnell, weil wir es auf ihren Namen gemacht haben. Andernfalls wäre es schwieriger geworden. Die Jungs in dem Laden sind sehr nett und serviceorientiert. Die SIM-Karte setzten sie ein, wir testen und alles ist fein. Ich bin wieder online. Das Gute: Obwohl ich beide dt. SIMs raus habe, funktionieren alle Messenger problemlos. Bin halt nur nicht mehr unter den dt. Telefonnummern erreichbar. Stört nicht, ich hatte meine Kunden entsprechend vorher informiert.

Wir schlendern noch durch die Mall, kaufen ihr ein Bikini und ich wundere mich an der Kasse. Es wird nach der Nummer vom Ausweis gefragt. „Hä? Wieso das denn?“ Ist völlig normal in COL. In so ziemlich jedem Geschäft, ausser in Supermärkten, wird man nach der Ausweisnummer gefragt. Jeder COL kann seine auswendig und gibt sie ohne Bedenken her. Wieder einmal bin ich verwundert, wie sorglos mit Daten umgegangen wird. In Supermärkten gibt es dafür eine andere Kuriosität. Wenn man den Laden verlässt, dann zeigt man der Security – die gibt es so ziemlich in jedem Laden – den Kassenzettel und der unterschreibt ihn. Ob die Waren mit dem Bon übereinstimmen, wird nicht geprüft. Er unterschreibt nur. Wozu das gut sein soll, konnte mir bis zuletzt keiner erklären. Bon zweimal verwenden kann es nicht sein, weil auf dem Bons ja Datum und Uhrzeit stehen.

Danach geht es zur obersten Etage zum Essen. Fressmeile, wie in jeder Mall, dazu aber eine riesige, schöne Terrasse mit vielen Restaurants und Bars. Dazu ein Schild: auf dem gesamten Gelände ist das Rauchen verboten. COL ist ein Nichtraucher-Land. Das geht so weit, dass man, wenn man im Geschäft nach Zigaretten fragt, immer erstmal einzelne Zigaretten angeboten bekommt. Ja, richtig gelesen. Sie fragen nach der gewünschten Marke und halten einem eine offene Packung hin und gehen davon aus, dass man EINE Zigarette kaufen möchte. Sagt man, dass man eine ganze Packung möchte, dann schauen sie verwundert. Sagt man, dass man mehrere Packungen möchte, schauen sie einen an, als käme man aus einer anderen Welt.

Wir schlendern noch etwas herum und fahren anschliessend nach Hause, packen ihre Sachen für die anstehende Reise. Ich habe nur kurz Klamotten getauscht, bin also praktisch startklar. Noch schnell die Online-Check-ins für den Flug morgen fertig. Danach – ich bin inzwischen beruhigt – verbringen wir einen wunderschönen Abend und vergnügen uns die halbe Nacht, bis wir erschöpft zusammenbrechen.

Die Sirenen lassen mich diese Nacht kalt. Dafür fällt mir etwas anderes auf: In COL ist am Freitagabend Partytime. Der Wohnblock gegenüber hat einen grossen Garten. Es tummeln sich etliche Leute dort und feiern bei lauter Musik. Manche machen Sport, es herrscht ausgelassene Stimmung, andere unterhalten sich angeregt. Wiederum andere tanzen. Alkohol habe ich dabei nicht gesehen. Nur Leute, die gut gelaunt sind und das Wochenende einläuten.



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