• 27.03.2024

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Das tschechische Bier

bier

» Artikel vom

Gastautor: eisfreak

Helden der Eisenpfanne! Heute gibt es von der MM Academy den Biergrundkurs, Vertiefungsrichtung Tschechien.

Schaut man in das Guinness Buch der Rekorde, findet man die Tschechen als das bierdurstigste Völkchen auf Erden. Die schlucken zwar momentan nur noch 129 Liter pro Jahr und Kopf, aber das ist auch coronabedingt. Hinter Tschechien finden wir witzigerweise Namibia als zweitdurstigstes Land, das hätte ich nicht gedacht.
Wir Deutschen waren mal in den 90ern mit 143 Litern recht gut dabei, im Vergleichsjahr 2020 lagen wir gerade mal bei mickrigen 87 Litern.

Eine andere Zahl ist aber die interessantere: schätzungsweise 500 (fünfhundert!) Kleinbrauereien sollen in Tschechien zu finden sein. Das würde bedeuten, auf unsere Einwohnerzahl hochgerechnet, dass wir ca. 4000 Mikrobrauerei hätten.
Wie kam es dazu und warum sind, bei dem Bierkonsum, die Tschechen mitnichten dauerbesoffen? Lasst uns das näher betrachten.

Rückblick: Die politische Wende 1990 trifft die völlig verrottete tschechische Wirtschaft wie ein Tsunami. Veraltete Brauereibetriebe in baufälligen Gründerzeitgebäuden haben den modernen Produktionsmethoden der europäischen Grossbrauereien nichts entgegenzusetzen.

Bis dahin waren, wie überall im Ostblock, die Brauereien in ein oder zwei grosse Kombinate eingegliedert. Tatsächlich stellten die Betriebsteile jedoch weiter ihr lokales Bier her, das Kombinat war quasi nur der „Dachverband“. So hatte Tschechien auch in tiefsten Ostzeiten viele Produktionsstätten mit regionalem Bezug.

Global Player wie AB InBev oder auch die Drinks Union gingen zügig in den 90ern daran, die Leiche zu fleddern und die Traditionsmarken aufzukaufen. Die völlig veralteten und unproduktiven lokalen Brauereistätten konnte man tatsächlich nur noch abreissen. Die damit verbunden Abnahme der Biervielfalt jedoch versetzte die auf ihre Biertradition stolzen Tschechen in helle Aufregung und sie begannen, wortwörtlich im Plastikeimer im Keller selber Bier zu brauen.

Heute stehen schicke Kupferkessel in sorgfältig restaurierten Gewölbekellern und auch der Gaumen bekommt weit mehr als nur Gulasch mit Knödeln. Die Biere sind zumeist unfiltriert und nicht pasteurisiert, sodass die wertvollen Inhaltsstoffe unversehrt durch die durstige Kehle rinnen. Angefangen bei leichten, hellen Bieren, über halbdunkle Biere bis hin zu dunklen, malzigen Sorten hat sich so eine unbeschreibliche Vielfalt an lokalen Bieren entwickelt. Egal, wo ich in Tschechien zu Fuss oder per Rad Touren unternehme – die nächste „Pivovar“, wie diese Craftbeer-Brauereien auf Tschechisch heissen, ist nicht weit. Mir ist es schon gelungen, während einer Mehrtagestour jeden Tag mindestens ein anderes Craftbeer zu verkosten, zumal diese Biere inzwischen auch immer häufiger in der normalen Gastronomie als Schankbier gereicht werden.

Es gibt eigene Bierwanderführer, wo man nach erfolgtem Genuss der Gerstenbrause einen Aufkleber in das vorgesehene Feld kleben kann. Ganze Poster stellen die Brauereivielfalt dar. Unter mapy.cz (das ist DIE digitale Wanderkarte für Tschechien, ist als Web und gleichnamige App verfügbar) braucht man nur „Pivovar“ einzutippen und schon kann die kulinarische Reise losgehen.

Inzwischen haben auch die grossen Anbieter den Craftbeermarkt für sich entdeckt. Das ist ja auch der einzige Markt, der wächst und wo höhere Preise akzeptiert werden. So rinnt etwa das rot goldene Granat von Budweiser durchaus sehr gefällig die Kehle hinab und auch Staropramen hat eine ganze Craftbeer-Linie am Start.

Seit 2008 ist „Tschechisches Bier“ (České pivo) eine in der EU geschützte geografische Angabe und steht für untergärige Lagerbiere aus hellen Malzen mit der bekannten bitteren Note, wobei das tschechische Bier eine ganz leichte Malznote aufweist und eine etwas dunklere Farbe als unsere Pilsvarianten aufweist.

Das typisch tschechische Schankbier hat einen sahnigen, feinporigen Schaum, der nach jedem kräftigen Zug die typischen Bierringe im Glas erzeugt. Damit sind wir schon mitten in der Frage, welche Biere in Tschechien zu finden sind. Es ist nämlich nicht so, dass dort unentwegt das Pilsner Urquell getrunken wird.

Meistens landet ein helles Lager (světlé ležák) mit 10° (bis maximal 12°) Stammwürze im Glas. Das ist vollmundig, spritzig, und mit einem Alkoholgehalt von meist unter 5 % gut bekömmlich. Gerade bei den Craftbieren finden wir häufig halbdunkle (polotmavé) und dunkle (tmavé) Sorten. Neben dem Pils brauen vor allem die kleinen Brauereien die in der Craftbeer Szene beliebten Sorten wie IPA und Ale mit teils hohen Stammwürzgehalten. Dort finden wir dann auch den Aromahopfen, das sind spezielle Züchtungen zum Erzielen komplexer Aromastrukturen. Da nicht alles jedem schmeckt, bekommt man auch schon mal vorab auf Wunsch einen kleinen Schluck zum Verkosten.

Apropos Verkosten. Die Biersommeliers haben sich mittlerweile bei der Beschreibung der Aromen den gesamten Wortschatz der Weinbranche zu eigen gemacht, das ist ja fast schon eine eigene Literaturgattung. Teils kann man das nachvollziehen, teils driftet das doch sehr in das Reich der Fantasie ab.

Seit fast 40 Jahren bin ich in Tschechien unterwegs und habe noch nie einen sturzbetrunkenen Tschechen gesehen. Das liegt an der Art, wie man dort Bier trinkt. Man fängt da schon mittags an, setzt sich entspannt am Wochenende in den Garten oder nimmt an Stammtisch Platz. Das Bier wird tiefenentspannt in kleinen Schlucken genossen, schliesslich ist der Tag noch lang. Karten- oder Brettspiele sind da durchaus nicht unüblich. Meiner Erfahrung nach werden da überwiegend die leichten hellen Lagerbiere bevorzugt, mit 10° oder höchstens 11° Stammwürze und damit unter 5 % Alkoholgehalt. Die sind schliesslich ein paar Kronen preiswerter und da kann man auch mal eins mehr trinken, ohne gleich vom Stuhl zu fallen. Zech- und Saufparties mit Bierkonsum bis zum Kotzen findet man nur in absoluten Touristenhochburgen – Orte, die ich möglichst meide.

So sitzt der Tscheche Samstag spät am Nachmittag mit den dreckigen Arbeitsklamotten vor der Kneipe auf der Stufe, genießt sein Bierchen und erholt sich von der Arbeit am eigenen Häuschen im Grünen. Das ist sowieso der Traum jeder tschechischen Familie.

Bei Wander- oder Radtouren ist der Biergenuss obligatorisch. Ein älterer deutscher Radfahrer, der in seiner Jugend oft mit Tschechen trainierte, hat mir mal folgenden Spruch der böhmischen Radkollegen erzählt: „Sieben Pivo Norma - sonst nix in Forma!“

Wir haben in einer Dorfkneipe auch mal die völlig wortlose Bierbestellung erlebt. Die Leute kamen hinein, setzten sich hin und schmissen einen Bierdeckel vor sich auf den Tisch. Kurze Zeit später perlte der ersehnte Gerstensaft im Glas. Das nächste Bier war nur ein Nicken weit entfernt. Das war an Minimalismus nicht mehr zu unterbieten.

Überraschenderweise gilt in Tschechien eine strenge Null-Promille-Grenze im Strassenverkehr. Da sollte man auch, gerade aus Ausländer, keine Experimente machen. Es gibt ja nun wirklich in fast jedem Dorf eine Kneipe, sodass man nirgends zum Biertrinken hinfahren muss.

Wo und wie geniesst jedoch der Eisfreak die Malzbrause? Das hängt vom Wetter ab. Bei kühlem Wetter gibt es mittags gerne mal zwei Bier, wenn die Pivovar direkt am Wegrand ist. Als Grundlage im Magen bevorzuge ich einen eher kleinen Snack, das Bier spielt die Hauptrolle und ich will ja noch weiter wandern oder Rad fahren. Hausgemachte Pommes sind mein Favorit, oder der in Öl eingelegte „Hermelin“, eine Art Camembert mit scharfer Würzung.
Bei warmem Wetter und entsprechendem Schweissverlust muss ich mich bis zum Ende der Tagesetappe gedulden. Dann gehe ich jedoch systematisch vor. Zuerst kommt ein leichtes Helles ins Glas, mit sagen wir 10° Stammwürze. Danach darf es ein etwas stärkeres Exemplar sein, und je nach Verfügbarkeit kommt mit Bier Nr. 3 ein kräftiges IPA oder Ale ins Glas. Also immer mit dem leichtesten Bier anfangen und dann steigern.

Eine spezielle Pivovar oder Sorte kann ich nicht empfehlen. Man muss die Augen offen halten, und einfach mal etwas jenseits des Mainstreams ausprobieren. Mein Gott, da hat man im schlimmsten Fall höchstens zwei oder drei Euro in den Sand gesetzt, das ist ja nun keine Investition. Aber ich muss eine Warnung aussprechen: Es gibt unter Umständen keinen Weg zurück zum schlechten Bier. Die 1,5 Liter Zlatopramen Plasteflasche lässt man dann im Regal stehen.

Was hat es indessen mit dem „Budweiser“ in den USA auf sich? Für alle, zum letzten Mal, und bitte zuhören.
Das ist KEIN tschechisches Bier. Hier wurde einfach der Markenname stumpf geklaut. Seit fast einem Jahrhundert schwelt da ein Markenstreit. Der Brauereigigant Anheuser-Busch ist da äusserst hartleibig, aber die Tschechen liegen nach Punkten vorne. AB darf die Marke nur noch in den USA und Kanada exklusiv nutzen. Also Finger weg von Flaschen, wo „Bud“ draufsteht! Gerade in den USA finden wir mittlerweile eine hohe Vielfalt an Craftbieren. Weitere Details findet ihr bei Wikipedia.

Das Thema Bier und Tschechien ist unerschöpflich, ständig entstehen neue Sorten. Es ist wie immer: Man kann nur den Weg zeigen und die Stichworte geben. Übrigens: auch in Budapest war ich im Sommer in einer Craftbeerkneipe, mit zwei Theken und insgesamt 10 Sorten vom Fass. Man muss nur suchen.

Jetzt muss ich aber los, mein Kasten helles Krušovice ist leer und da muss ein neuer her. Prosit!

KLEINES BIERLEXIKON

Allgemeine Beschreibung des Bieres

Brauart:
„Untergärig“ beschreibt Hefen, die bei kühlen Temperaturen arbeiten und sich unten absetzen. Typischer Vertreter: Lager.
„Obergärig“ sind Hefen, die bei höheren Temperaturen arbeiten und oben aufschwimmen. Typische Vertreter Ale, IPA (India Pale Ale).

Bitterkeit wird in IBU angegeben. IBU steht für „International Bitterness Unit“. Berliner Weiße kommt mit 3 bis 8 daher, Pils liegt so bei 35 bis 45 und IPA kann schon mal bis 70 gehen. Aber Achtung – IBU bezieht sich auf einen chemisch bestimmten, speziellen Säureanteil – die gefühlte Bittere wird noch durch andere Faktoren beeinflusst. Das ist so ungefähr, als ob ich die Schärfe des Essens nur durch den Chilianteil definiere, aber Zucker, Fette usw. aussen vor lasse.

Stammwürze beschreibt, grob gesagt, den Anteil der Feststoffe vor Hefezugabe (also vor der Gärung). In etwa ist der Alkoholgehalt linear zur Stammwürze, aber es gibt da eine gewisse Varianz, je nach eingesetzter Hefe, dem Verhältnis Malz/Hopfen und der Malzsorte. Die Stammwürze wird in ° angegeben (Grad Plato).

Alkoholgehalt: wird in Volumenprozent angegeben. Bis 12 Vol-% erhält man durch natürliche Gärung, danach muss man entweder erneut Hefe beigeben und/oder Wasser entziehen („Eisbier“). Mit der Eisbiermethode hat man (kleinste Mengen!) Bier bis um die 60 Vol-% erzeugen können, das diente jedoch mehr dem sportlichen Wettbewerb als der Versorgung der Bevölkerung.

Tschechische Bierbegriffe

pivo – Bier
pivnice – Bierkneipe
pivovar – Brauerei, Brauhaus
nefiltrovaný – ungefiltert
nepasterizovaný – nicht pasteurisiert
světlý – helles …
polotmavý – halbdunkles …
tmavý – dunkles …
černé – schwarz(es) …
chmel – Hopfen
sladu – Malz
světlý ležák – helles Lagerbier
Plzeňský Prazdroj – Pilsner Urquell (DAS Pilsner)

Wegweiser

https://de.mapy.cz/zakladni?q=pivovar&x=14.4041274&y=50.1116543&z=8
Man muss noch reinzoomen, um mehr zu sehen.

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